2. Tag, Freitag, 22.06.2015, Hull - Dublin
Als ich aufwache ist es 7 Uhr. Um 8 Uhr legt die Fähre an und ich wollte noch duschen und etwas frühstücken. Dann muss ich natürlich auch noch meine Sachen wieder im Tankrucksack verstauen. Vom Schreck bin ich sofort hellwach und schaue aufs Handy. Dort ist es 6 Uhr. Zum Glück fällt mir die Zeitverschiebung ein. Auf der Insel gehen die Uhren ja etwas langsamer und meine Funkuhr findet keinen englischen Sendemast daher zeigt sie noch die MEZ. Später erfahre ich, dass das englische Funksignal auf einer anderen Frequenz sendet. Als ich rauskriege, dass ich meine Uhr umstellen kann, bin ich allerdings schon wieder zu hause.
Also kann ich alles in Ruhe erledigen. Die nächste Verwirrung entsteht, als ich meine SMS checke. Was soll das denn? Heißt der Kapitän vielleicht Francesco Schettino und wollte er auf dem Weg nach England seiner Frau mal kurz die Freiheitsstatue zeigen?
Ich kann es nicht klären, gehe aber mal davon aus, dass wir planmäßig in England anlegen. Das Frühstück fällt heute etwas mager aus. Zwei Croissants und ein Becher Kaffee müssen reichen. Ich werde mir unterwegs irgendetwas Leckeres kaufen, z. B. Wildschwein in Pfefferminzsauce, oder was man halt in UK so isst.
Die Biker dürfen als letzte vom Schiff, so sitze ich noch in der Lounge und beobachte das muntere Treiben im Hafen. Als ich das Fahrzeugdeck betrete stelle ich erleichtert fest, dass nichts umgestürzt ist. Schnell löse ich die Gurte und schnalle den Tankrucksack fest. Als einer der Ersten rolle ich von Deck. Der englische Zoll möchte Gesichter zu den Ausweisen sehen und so müssen alle Biker die Helme absetzen. Dazu läuft extra ein Zöllner an der endlosen Schlange von Motorrädern entlang und fordert die Biker zum Absetzen des Helmes auf. Reden ist nicht bei dem Höllenlärm, den die Harleys verursachen, also muss er sich per Zeichensprache verständlich machen. Hier gibt es noch mal allerhand abenteuerliche Konstruktionen zu sehen. Vom Beiwagen, über Stierhörner und Lenker, die weit über die Köpfe der Fahrer ragen. Manch einer muss sich enorm verrenken, um sein Gefährt die gewundene Rampe entlang zu steuern.
Nach der Passkontrolle setze ich schnell meinen Helm auf und während die Harley Fahrer sich erst sammeln, rolle ich als Erster in den Linksverkehr. Den Teil der Strecke habe ich mir auf Google-Street-View angesehen, so dass ich mich hier bestens zurechtfinde. Das Navi rechnet mir alle zulässigen Höchstgeschwindigkeiten von Meilen in km/h um. Bald bin ich (gefühlt auf der falschen Seite) auf der Autobahn nach Westen in Richtung Holyhead unterwegs.
An den Linksverkehr auf der Autobahn habe ich mich schnell gewöhnt. Manchmal bin ich von den Entfernungsangaben irritiert, bis mir dann wieder einfällt, dass das "m" für Meilen und nicht für Meter steht.
Während ich mit 112 km/h durch die relativ langweilige Landschaft, auf der linken Spur (!) dahingleite, fängt es immer wieder an zu nieseln und gelegentlich regnet es auch stärker. Ich verzichte auf den Regenkombi, denn ich komme flott voran und überlege, ob ich vielleicht eine Fähre früher nach Irland nehmen kann.
Nachdem ich die Grenze nach Wales überquert habe, wird die Landschaft interessanter und abwechslungsreicher. Und die Verkehrsschilder werden zweisprachig. Ich muss mich jetzt entscheiden, ob ich direkt zur Fähre fahre und eventuell früher in Irland ankommen möchte. Die Alternative wäre, noch eine keine Runde durch den Snowdonia-Nationalpark zu drehen. Da es aber immer wieder anfängt zu regnen und dagegen die Aussicht besteht, Marianne früher zu treffen, entscheide ich mich für den direkten Weg.
Die Ankunft am Fährhafen hatte ich mir wieder in Street-View angesehen und als ich nach rechts auf den Parkplatz von Irish Ferries einbiegen möchte stehe ich plötzlich face-to-face vor dem Kühlergrill einer netten englischen Lady. Gewohnheitsmäßig will ich mich auf der rechten Seite der Fahrbahn einordnen wollen. Da ist nur schon jemand. Ich entschuldige mich gestenreich und schwenke schnell auf die linke Seite und rolle weiter zum Fährbüro. Zum Glück kann ich nur ahnen was die Lady über deutsche Touristen denkt.
25 Euro kostet das Umbuchen, aber ich möchte weder drei Stunden im Regen warten, noch umkehren und mir irgendwo ein Cafe suchen. Also zahle ich und kann sofort mit auf die Fähre. Das Motorrad ist schnell verspannt und ich gehe hoch ins Bordrestaurant, denn ich merke, dass ich seit dem Frühstück nichts gegessen habe.
Den Rest der Überfahrt verbringe ich abwechselnd auf dem Sonnendeck und im Ruhesessel. Als wir um 17:30 Uhr im Hafen von Dublin anlegen, habe ich satte 3 Stunden gewonnen. Denn jetzt würde meine ursprünglich gebuchte Fähre in Holyhead starten. Marianne habe ich per SMS über meine frühere Ankunft informiert. Als sie die Nachricht erreicht, sitzt sie noch in Belfast beim Mittagessen. Da sie aber gern am Hafen sein möchte, wenn ich ankomme sputet sie sich und schafft es tatsächlich, rechtzeitig dort zu sein.
Meine Güte, ist das toll sie zu sehen. Wir freuen uns riesig wieder zusammen zu sein und ab jetzt Urlaub machen zu können. Schnell steigen wir auf unsere Motorräder und schlängeln uns durch den Freitag-Feierabendverkehr zum West Country Hotel in Dublin Chapelizod. 369 Kilometer habe ich heute auf der "falschen" Straßenseite zurückgelegt. Trotzdem muss ich mich bei jedem Abbiegen drauf konzentrieren, mich wieder links einzuordnen.
Das Hotel macht einen ordentlichen Eindruck - hat aber sicher schon bessere Zeiten gesehen. Wir ziehen uns schnell um und gehen in den hoteleigenen Pub zum Essen. Marianne nimmt ein Roasted Lamb und ich einen Beefburger mit Chips. Das Guinness betrachte ich noch etwas argwöhnisch und bleibe zunächst beim Heineken. Marianne ist da schon etwas besser in Übung und gilt nach einer Woche Belfast quasi als halbe Irin.
Eigentlich wollen wir noch einen Abendspaziergang in den Phoenix Park machen, den wir von unserem Fenster aus sehen können. Ein nettes Irisches Ehepaar erklärt uns jedoch, dass die nächste Brücke über den River Liffey eine halbe Stunde Fußmarsch von uns entfernt ist und wir verschieben den Parkbesuch auf morgen.