1. Tag, Donnerstag, 21.05.2015, Mannheim - Rotterdam
11.11 Uhr zeigt der Bordcomputer als ich in Mannheim-Sandhofen auf die Autobahn in Richtung Rotterdam Europoort fahre. Etwa 500 Autobahn-Kilometer liegen vor mir und ein bisschen graut mir vor der langweiligen Fahrt. Beim Frühstück zeigte der obligatorische Blick in wetter.com eine Sonne die zur Hälfte von Wolken verdeckt ist und die Regenwahrscheinlichkeit lag bei 70 Prozent. Das Thermometer schwankt auf den ersten 100 Kilometern zwischen 13 und 19°C. Schnell merke ich, dass die dünnen Sommerhandschuhe nicht ausreichen, auch wenn ab und zu die Sonne blinzelt.
Auf dem "Rastplatz Moselschleife" wechsele ich zu den wärmeren GoreTex Handschuhen. In meinen Koffern stecken Mariannes Innenjacke und -hose. Da sie beruflich in Belfast zu tun hat, ist sie schon vor einer Woche losgefahren. In unserem letzten Telefongespräch erzählte sie, dass das Thermometer derzeit gerne einstellige Tageshöchstwerte meldet und der Verzicht auf die Thermo-Innenkleidung etwas gewagt war. Am Freitagabend werden wir uns Dublin am Hafen treffen, um von dort aus unseren gemeinsamen Urlaub starten.
Im Moment fahre ich mit gemischten Gefühlen in Richtung Norden. Während der Tacho konstant 120 km/h zeigt, fällt mein Blick immer wieder an den Himmel. Hält das Wetter? Einen verregneten Urlaub kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Stundenlang oder gar tagelang im Regen zu fahren wäre im Moment der blanke Horror. Und die vielen Reiseberichte, die ich zur Vorbereitung über Irland gelesen habe, lassen eigentlich kaum auf etwas anderes hoffen. Dass alles ganz anders kommt und ich in zwei Wochen völlig begeistert aus Irland zurückkehren werde, kann ich ja jetzt noch nicht wissen.
Als nach 300 Kilometern die Tankanzeige aufleuchtet, hilft mir mein neuer Begleiter, der Navigator, auf Knopfdruck in Nettetal eine Tanke, abseits der A 61 zu finden. Die Hoffnung, dort eine kleine Pause einlegen zu können, wird von dem "Außer Betrieb"-Schild an der Kaffeemaschine zerstört. Aus Protest fahre ich nicht in den Ort und suche nach einer Bäckerei, sondern tanke die GS nur voll und fahre zurück auf die Autobahn.
Nach kurzer Fahrt überquere ich die niederländische Grenze. Das angezeigte Tempolimit von 120 km/h kommt mir entgegen und ich lasse den Tempomat so eingestellt wie bisher. Nun wird es aber wirklich Zeit für eine Pause und ich steuere die erste holländische Raststätte an. Dort steht schon eine Gruppe von fünf Harleys und eine zweite Gruppe Harleyfahrer mit Marburger Nummernschildern trifft kurz nach mir ein. Ich bewundere die Jungs die diese weite Strecke auf ihren unbequemen Maschinen, mit vermutlich völlig blutentleerten Händen zurückgelegt haben. Vielleicht ist das aber auch der Grund, dass sie ziemlich grimmig dreinschauen und andere Biker völlig ignorieren. Vom Sitzkomfort und der Sitzhaltung auf der GS bin ich dagegen absolut begeistert. Bis jetzt stellen sich keine Ermüdungserscheinungen ein und auch der Dubs, der ja im letzten Urlaub noch gemeutert hat ist beschwerdefrei.
Ich drücke die Taste für einen mittleren Cappuccino und stelle lässig einen Einwegbecher unter die Maschine. Als ich merke, dass ich statt eines mittleren Bechers einen kleinen ausgewählt habe, ist es schon zu spät. Als der Becher mit Milchschaum voll ist ziehe ich ihn weg und sehe wie der Kaffee gnadenlos im Ausguss verschwindet. Um mir keine Blöße zu geben tue ich so als hätte ich es nicht anders gewollt und gehe mit meinem Milchschaum raus in die Sonne. So schlecht schmeckt das gar nicht und ich beschließe, dass der Kaffeeanteil im Cappuccino überbewertet wird.
Nach zwei Stunden nähere ich mich Rotterdam und der Europoort ist bestens ausgeschildert. Als das Hafengebiet beginnt, sind es allerdings immer noch 30 Kilometer bis zum Fährterminal. Ich überlege, ob wohl noch andere Motorradfahrer auf der Fähre sein werden, denn schließlich ist es mitten in der Woche, wenn auch das Pfingstwochenende bevorsteht. Ewig fahre ich an Containerbergen und Öltanks vorbei, bis ich endlich am Terminal ankomme. Ich bin eine Stunde zu früh, denn das Boarding beginnt um 18:00 Uhr und die Pride of Rotterdam legt um 21:00 Uhr in Richtung Hull ab. Am Fährbüro stehen etwa 20 Motorräder und die Fahrer tauschen gerade die Buchungsbestätigung in Tickets um. Ich stelle mich brav in eine Fahrspur und werde sofort von einer freundlichen Dame nach vorne gewunken. Ich zeige meinen Computerausdruck vor und erhalte eine Boardingkarte und die Keycard für meine Kabine.
Eine Stunde früher als gedacht geht es am Zoll vorbei und auf einer befestigten Auffahrt in den Bauch des Schiffes, wo das Personal mir meinen Platz zuweist. Mit mir sind noch gut 250 weitere Motorräder auf der Fähre. Es handelt sich überwiegend um Harleys aller Ausprägungen. Nummernschilder aus Russland, Deutschland, Niederlande, Österreich... Wie ich später erfahre sind sie nach Lincolnshire zur Super Rally 2015, einem internationalen Harley-Davidson-Treffen, unterwegs. Jetzt wundert es mich nicht mehr, dass ich unterwegs immer wieder Gruppen von Harley-Fahrern begegnet bin.
Die Gurte auf dem Schiff sind vorbereitet und jeder macht sich daran, sein Motorrad zu verzurren. Ich hatte mich im Internet ausführlich über die unterschiedlichsten Zurr-Methoden informiert und noch eigene Gurte mitgenommen. Der Hauptgurt wird über die Sitzbank gelegt und stramm angezogen. Um auf Nummer Sicher zu gehen, setze ich außerdem die Handbremse fest und binde den Hauptständer nach vorne. Leider ist das Bild von der verzurrten GS, als einziges Motorrad auf dem Hauptständer, zwischen all den schrägen Harleys, unscharf. Trotz aller Maßnahmen bleibt ein mulmiges Gefühl.
Nur mit Tankrucksack bewaffnet, wo ich alles für die Überfahrt reingepackt habe, mache ich mich auf den Weg zu Kabine 8131. Marianne hatte mir geraten, eine Hose und Turnschuhe mitzunehmen und jetzt freue ich mich, aus den Motorradklamotten rauszukommen. Anschließend mache ich mich auf den Weg auf das Sonnendeck, um das Ablegemanöver mitzuerleben. Da ich so früh an Bord konnte, bleibt vorher noch Zeit das Schiff zu erkunden.
Pünktlich um 21:00 Uhr legt die Fähre ab und wir lassen das Festland hinter uns. Als Abendessen gibt es heute mitgebrachte Kaminwurzen und Brezeln. Ich gehe bald ins Bett. Morgen früh werde ich schon in England sein. Zum ersten Mal werde ich im Linksverkehr fahren, ich bin gespannt wie das hinhaut.